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Kostenlose Beratung bei organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt

Hilfeleistungen durch das Ergänzende Hilfesystem und das Opferentschädigungsgesetz

Für Betroffene von sexualisierter Gewalt gibt es die Möglichkeit, Anerkennungs- und Entschädigungsleistungen aus dem Ergänzenden Hilfesystem (EHS) / Fonds Sexueller Missbrauch oder nach dem Opferentschädigungsgesetz zu beantragen. Die Voraussetzungen, Antrags- und Bewilligungsverfahren unterscheiden sich – ebenso wie die zu beantragenden Leistungen. Der folgende Text gibt einen Überblick und zeigt auf, wo weitergehende Informationen zu finden sind.

Das Opferentschädigungsgesetz

Das Opferentschädigungsgesetz (OEG) ist ein deutsches Bundesgesetz im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts. Personen, die durch eine vorsätzliche und rechtswidrige Gewalttat eine gesundheitliche Beeinträchtigung erlitten haben, können nach dem OEG einen Antrag auf Entschädigungsleistungen durch den Staat stellen. Der Leitgedanke des OEG ist die Verantwortung des Staates, seine Bürger:innen vor Schädigungen durch Gewalttaten zu schützen. Wenn der Staat dieser Verantwortung nicht nachkommen konnte, sollen gesundheitliche und wirtschaftliche Folgen bei den Betroffenen ausgeglichen werden. Am 7. November 2019 hat der Bundestag ein neues soziales Entschädigungsrecht beschlossen. Wesentliche Veränderungen für Betroffene sexualisierter Gewalt hat die „Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung (BKSF)“ in einer Kurzinfo auf ihrer Website zusammengefasst – zu finden unter https://www.bundeskoordinierung.de/de/article/231.ser-im-bundestag-verabschiedet.html. Da die Neufassung überwiegend erst im Januar 2024 in Kraft tritt, gilt bis dahin die aktuelle Gesetzeslage. Diese stellt sich wie folgt dar:

Anspruchsberechtigt beim OEG sind sowohl die von Gewalt betroffenen Menschen selbst als auch ihre Hinterbliebenen (Witwe:r, Waisen, Eltern). Der Geltungsbereich des OEG umfasst Taten, die nach dem 15. Mai 1976 und somit nach dem erstmaligen Inkrafttreten des Gesetzes begangen wurden. Für Taten auf dem Gebiet der ehemaligen DDR gilt das Gesetz ab dem 3. Oktober 1990. Für Personen, die in der Zeit vom 23. Mai 1949 bis zum 15. Mai 1976 beziehungsweise im Gebiet der ehemaligen DDR vor dem 3. Oktober 1990 eine Gewalttat erlebt haben, ist eine Härteregelung vorgesehen. Das heißt: Bei besonders schweren gesundheitlichen Folgen kann auch hier im Einzelfall eine Versorgung zugesprochen werden.

Eine strafrechtliche Verurteilung der Tatpersonen ist nicht erforderlich. Die Geschädigten sind jedoch in der Pflicht, das ihnen Mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts zu unternehmen und zur Verfolgung der Tatperson(en) beizutragen ‒ sprich eine Strafanzeige bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft zu erstatten. Sonst können Leistungen verwehrt werden. Doch es gibt Ausnahmen: Bei besonders belastenden Fällen von sexualisierter Gewalt kann auf eine Strafanzeige verzichtet werden. Dazu gehört in der Regel auch sexueller Kindesmissbrauch.

Zu den Leistungen, die nach dem OEG beantragt werden können, gehören Heilbehandlungs-, Renten-, Rehabilitations- und Fürsorgeleistungen. Der Leistungsumfang ist zum Teil größer als der einer gesetzlichen Krankenversicherung. Welche Leistungen jeweils infrage kommen, hängt von den konkreten Folgen ab, unter denen die Antragstellenden leiden. Auch psychische Gesundheitsschäden fallen unter das OEG. Der Beginn der Versorgungsleistungen hängt vom Zeitpunkt der Antragstellung ab. Daher empfiehlt es sich, den Antrag möglichst schnell zu stellen und den Ausgang eines möglichen Ermittlungs- oder Strafverfahrens nicht abzuwarten.

Die Antragstellung nach dem OEG kann insbesondere bei sexualisierten Gewalterfahrungen sehr belastend sein. Das gilt umso mehr für Betroffene organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt: Sowohl der Nachweis der Taten als auch Zusammenhänge zwischen Taten und gesundheitlichen Beeinträchtigungen sind oftmals nur schwer zu erbringen. Zudem führt die Diagnose einer Dissoziativen Identitätsstörung (DIS) häufig zu grundsätzlichen Zweifeln an der Glaubhaftigkeit betroffener Personen (1).

Sowohl Fachberatungsstellen als auch Jurist:innen unterstützen Betroffene und Hinterbliebene bei der Antragstellung und bieten ihnen im Vorweg umfangreiche Informationen. Das kann sehr hilfreich sein, wenn Unsicherheiten hinsichtlich des Verfahrens und damit möglicherweise einhergehender Belastungen bestehen. Für eine solche fachkundige Unterstützung können Personen mit einem geringen Einkommen beim Amtsgericht Prozesskostenhilfe beantragen.

Auf der Website des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ist unter dem folgenden Link ein Erklär-Video zu Fürsorgeleistungen in der sozialen Entschädigung zu finden: https://www.bmas.de/SharedDocs/Videos/DE/Artikel/Soziale-Sicherung/kov-soziales-entschaedigungsrecht-erklaerfilm-2012-08-28.html

Interessierte Personen, die einen Antrag stellen wollen…

werden durch geschulte Beratungsstellen dabei unterstützt. Das ist keine zwingende Voraussetzung, sondern vielmehr ein Angebot. Die Beratung zum EHS / Fonds Sexueller Missbrauch ist freiwillig, kostenfrei und vertraulich. Eine Übersicht über die beteiligten Institutionen findet sich auf der Website des EHS.

Zudem gibt es ein Info-Telefon Fonds Sexueller Missbrauch, das unter folgender Nummer für allgemeine Fragen zu erreichen ist: 0800 400 10 50

Das Ergänzende Hilfesystem (EHS) mit dem Fonds Sexueller Missbrauch

Im Jahr 2013 hat die deutsche Bundesregierung das Ergänzende Hilfesystem (EHS) als Unterstützung für Personen eingerichtet, die als Kind oder Jugendliche:r in Deutschland sexualisierte Gewalt erlebt haben. Zeitliche Voraussetzung ist, dass die Taten vor dem 30. Juni 2013 stattgefunden haben. (An diesem Tag trat das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs – StORMG – in Kraft.)

Das EHS besteht aus dem „Fonds Sexueller Missbrauch im familiären Bereich“ und dem „EHS-Institutioneller Bereich“. Die Antragsverfahren sind unterschiedlich. Der „Fonds Sexueller Missbrauch im familiären Bereich“ wird finanziert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Die Leistungen aus dem „EHS-Institutioneller Bereich“ werden bei den Institutionen beantragt, die sich am EHS beteiligen. Diese entscheiden auch über die Bewilligung. Auf der Webseite des EHS (www.fonds-missbrauch.de) sind ausführliche Informationen und Antragsunterlagen für beide Verfahren zu finden. Wichtig zu wissen ist, dass der familiäre Bereich sehr weit gefasst ist. Auch sexualisierte Gewalt durch andere (nicht zur Familie gehörende) Personen kann zu diesem Bereich gehören, sofern die antragstellende Person ihnen entweder direkt durch Personen aus dem familiären Bereich oder mit deren Beteiligung, Wissen und Wollen zugeführt wurde.

Ziel des EHS ist, andauernde Belastungen als Folge sexualisierter Gewalt in Kindheit und/oder Jugend zu mindern. Betroffene können Sachleistungen bis zu einer Höhe von 10.000€ sowie einen behinderungsbedingten Mehraufwand bis zu einer Höhe von 5.000€ beantragen. Antragsberechtigt sind Personen, die als Minderjährige sexualisierte Gewalt im familiären oder institutionellen Bereich erlebt haben. Eine weitere Voraussetzung für die Bewilligung von Sachleistungen ist ein nachvollziehbarer Zusammenhang zwischen den Folgen der erlebten sexualisierten Gewalt und den beantragten Sachleistungen: Diese sollen dazu geeignet sein, die Folgen des Missbrauchs zumindest zu mindern, was die Antragstellenden entsprechend im Antrag darlegen müssen.

Sachleistungen, die Betroffene beim EHS beantragen können, sind zum Beispiel Kosten für Psychotherapie nach Richtlinienverfahren oder andere therapeutische Hilfen wie Tanztherapie, Tiergestützte Therapie oder Kunsttherapie. Wenn alle Voraussetzungen vorliegen, werden auch medizinische Dienstleistungen und Hilfsmittel, Maßnahmen zur individuellen Aufarbeitung des Erlebten, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen oder auch Maßnahmen zur Beratung, Betreuung und Begleitung bewilligt. Letzteres kann zum Beispiel auch ein Assistenzhund sein.

Ein Rechtsanspruch auf die beantragten Sachleistungen besteht nicht. Der Fonds kommt nachrangig in den Fällen zur Anwendung, in denen die antragstellende Person Hilfeleistungen nicht durch das bestehende Netz sozialrechtlicher Versorgungssysteme gemäß ihren Bedürfnissen erhält. Sozialrechtliche Versorgungssysteme sind private und gesetzliche Krankenkassen, Unfallversicherungen, Versorgungsämter (zuständig für Anträge nach dem Opferentschädigungsgesetz), die Deutsche Rentenversicherung und die Bundesagentur für Arbeit. Die Kosten für die beantragten Leistungen dürfen also nicht durch andere Stellen abgedeckt werden. Um ein Beispiel zu geben: Die Kosten für eine Psychotherapie oder andere therapeutische Verfahren werden vom EHS nur dann übernommen, wenn die Krankenkasse diese nicht oder nicht weiter bewilligt. Zivilrechtliche Ansprüche gegen die Tatperson(nen) haben dagegen keinen Vorrang vor den Leistungen des Fonds. Sie müssen nicht zuvor geltend gemacht oder durchgesetzt worden sein.


Referenzen

  1. Fachkreis „Sexualisierte Gewalt in organisierten und rituellen Gewaltstrukturen“ beim BMFSFJ (2018): Sexualisierte Gewalt in organisierten und rituellen Gewaltstrukturen ‒ Prävention, Intervention und Hilfe für Betroffene stärken ‒ Empfehlungen an Politik und Gesellschaft. Berlin. https://www.bundeskoordinierung.de/kontext/controllers/document.php/155.b/a/be8025.pdf (Abruf am 26.11.2021).