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Schutzmaßnahmen für den Ausstieg

Personen, die sexuellen Kindesmissbrauch in organisierten und rituellen Gewaltstrukturen erlebt haben, brauchen für den Ausstieg ein gewisses Maß an Schutz und Sicherheit. Ein helfendes Netzwerk kann dabei von großer Bedeutung sein – ebenso wie konkrete Schutzmaßnahmen.

Im folgenden Text werden einige dieser allgemeinen, behördlichen und juristischen Maßnahmen beschrieben. Die Informationen basieren auf Erfahrungswissen von betroffenen Personen und Berater:innen, die auf das Thema organisierte sexualisierte und rituelle Gewalt spezialisiert sind. Sämtliche Aspekte finden sich auch in der Publikation „SUPPORT – Ein Leitfaden für den Ausstieg“ von Pauline Frei und Sabine Weber.

Erste Schritte, um Schutz zu ermöglichen

Viele Betroffene berichten, dass Tatpersonen versuchen, den Ausstieg aus der Gruppe zu verhindern. Ein Ausstieg verlangt daher von Betroffenen Kraft, Mut und Durchhaltevermögen. Erste Schritte, um Schutz zu ermöglichen, können wie folgt zusammengefasst werden:

  • Äußere Distanz zu den Tatpersonen herstellen
  • Aktive Kontaktaufnahme zu Tatpersonen vermeiden
  • Wohnung, Telefon, E-Mail, Post sowie Kontodaten ändern und schützen
  • Kontakte zu Geschwistern, Freund:innen sowie Bekannten überprüfen und bei Unsicherheit aufgeben
  • Eine Auskunftssperre und/oder einen Namenswechsel erwägen
  • Auftauchende Tatpersonen und deren Kontaktpersonen abweisen (lassen)
  • Falls gewollt und möglich, eine Strafanzeige in Erwägung ziehen

Äußere Distanz zu den Tatpersonen herstellen

Zunächst geht es für viele Betroffene darum, räumlichen Abstand zu gewinnen, Schutz zu finden und eine äußere Distanz zu den Tatpersonen herzustellen. Das heißt konkret: Sie versuchen in einer anderen Stadt, in einem anderen Bundesland oder gar im Ausland „unterzutauchen“. Für den weiteren Ausstieg und alle damit verbundenen Maßnahmen ist es wichtig, so viel Sicherheit wie möglich im Wohn- und Lebensumfeld zu haben. Das allein kann jedoch aus vielschichtigen Gründen schon sehr herausfordernd und schwer zu realisieren sein. Die meisten Betroffenen sind psychisch belastet. Sie verlassen ihr bisheriges soziales Netzwerk und damit auch alles Vertraute. Häufig müssen sie dem Druck und den Bedrohungen der Tatpersonengruppe standhalten. Gleichzeitig gilt es, bürokratische Hürden zu überwinden – zum Beispiel bei Themen wie Auskunftssperre und Namensänderung. Und nicht zuletzt brauchen Aussteiger:innen finanzielle Ressourcen für den Neuanfang.

Eine äußere Distanz herzustellen, ist vor diesem Hintergrund ein großer erster Schritt. Umso wichtiger ist es, sich möglichst von Beginn an eine vertrauenswürdige Unterstützung zu suchen oder sich mit Kriseneinrichtungen vertraut zu machen. Hierfür eignen sich insbesondere folgende Personen und Einrichtungen:

  • Freund:innen oder andere bekannte, sichere Personen
  • Akutkliniken oder geeignete Psychiatrien
  • Schutzunterkünfte, Frauenhäuser, Fluchtwohnungen
  • Ambulante, teilstationäre und stationäre Wohnangebote
  • Klöster oder andere kirchliche Einrichtungen

Im Idealfall wissen die genannten Kriseneinrichtungen, in welcher besonderen Notlage sich die betroffenen Personen befinden. Nur so können sie ihnen den passenden Schutz bieten. Langfristige Alternativen für sicheres Wohnen können sehr unterschiedlich aussehen. Betreutes Wohnen, Wohngemeinschaften, alternative Wohnprojekte, Pflege- und Gastfamilien oder auch eine eigene neue Wohnung sind Möglichkeiten, die in Betracht kommen.

Behördliche Auskunftssperre

Um nach einem Umzug die neue Adresse zu schützen, kann eine behördliche Auskunftssperre angebracht sein. Wenn eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit, die persönliche Freiheit oder ähnliche schutzwürdige Interessen einer Person besteht, kann gemäß § 51 Abs. 1 im Bundesmeldegesetz eine Auskunftssperre im Melderegister eingerichtet werden. Schutzwürdige Interessen können zum Beispiel Bedrohungen und unbefugtes Nachstellen sein. Im Melderegister sind Meldedaten gespeichert, die neben dem Namen und weiteren Angaben, wie beispielsweise dem Geburtsort, auch die aktuellen und vorherigen Adressen beinhalten. Diese Daten werden bei entsprechenden Anfragen von der jeweiligen Behörde herausgegeben. Liegt eine Auskunftssperre vor, darf niemand die Meldedaten an Stellen weitergeben, die nicht öffentlich sind.

Die zuständigen Behörden tragen eine Auskunftssperre ein, wenn konkrete Hinweise auf eine Gefahr vorliegen. Solche Hinweise sind zum Beispiel belegbare Drohungen oder Handgreiflichkeiten durch die Tatpersonen. Wenn es Belege dafür gibt, kann ein formloser Antrag gestellt werden.

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    Der Antrag muss alle zwei Jahre mit aktuellen Beweismitteln verlängert werden. Geeignete Beweismittel im Rahmen des Antrags können zum Beispiel ärztliche oder behördliche Bescheinigungen, Gerichtsurteile oder Zeugenaussagen sein. Es ist hilfreich, wenn Betroffene, Helfende oder Fachkräfte vorliegende Gefährdungen sowie eine Gefahrenprognose beschreiben können. Wer eine Auskunftssperre beantragen will, kann dies schriftlich oder persönlich bei der Meldebehörde des jeweiligen Wohnortes tun. Erforderliche Unterlagen sind ein Personalausweis oder Reisepass und gegebenenfalls Unterlagen zum Nachweis der Gefährdung.

    Die Behörde entscheidet, ob sie dem Antrag stattgibt. Bei Schwierigkeiten kann es hilfreich sein, sich Unterstützung bei Anwält:innen zu holen, die sich mit dem Thema organisierte sexualisierte und rituelle Gewalt auskennen. Nicht selten argumentieren Sachbearbeitende, dass sie ohne entsprechende Beweismittel, wie einem Gerichtsurteil oder einem Aktenkennzeichen bei der Polizei, dem Antrag nicht zustimmen können, während sie Stellungnahmen von Psychotherapeut:innen oder Fachberatungsstellen weniger berücksichtigen. Doch für viele Betroffene sind Strafanzeigen und Ermittlungsverfahren keine Option.

Eigensicherungsmaßnahmen im Alltag

Neben der räumlichen Distanz gibt es weitere Eigensicherungsmaßnahmen, mit denen   Betroffene selbst ihren Schutz im Alltag erhöhen beziehungsweise erhalten können. Dazu gehört zum Beispiel, einen sicheren Freundes- und Bekanntenkreis über die Situation zu informieren und ihnen anzuvertrauen, dass man gelegentlich verfolgt oder beobachtet wird. Außerdem können Betroffene ihre Freund:innen oder Bekannten auch darum bitten, verdächtige Wahrnehmungen ernst zu nehmen und festzuhalten – zum Beispiel in Form einer Beschreibung oder Fotoaufnahme. Film- oder Tonaufnahmen sind hingegen verboten.

Auch das Internet speichert Daten und kann somit Unsicherheiten bergen ebenso wie telefonische Kontaktaufnahmen. Daher kann es hilfreich sein, einen Anrufbeantworter beziehungsweise eine Mailbox zu nutzen und Anrufe nicht direkt entgegenzunehmen. Sollte der Anruf von einer Tatperson kommen und diese hinterlässt eine Nachricht, so ist sie mit der Aufzeichnung der Nachricht einverstanden. Stimmaufzeichnungen von Anrufbeantwortern sind erlaubt und können genutzt werden, um Bedrohungssituationen zu dokumentieren. Wenn Tatpersonen Trigger über das Telefon senden, sollten betroffene Personen Nachrichten nur in Begleitung einer zweiten Person abhören.

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    Weiterhin können unterschiedliche technische Systeme zur Überwachung und Erhöhung der Sicherheit von Betroffenen eingesetzt werden. Beispielsweise kann eine Trackingsoftware der Ortung eines Gerätes, zum Beispiel eines Handys, Tablets oder Laptops, dienen. Damit können alle von der betroffenen Person berechtigten Personen online nachvollziehen, wo sie sich gerade befindet. Die Ortungsdaten können auch aufgezeichnet werden. Dadurch können betroffene Personen selbst nachvollziehen, wo sie wann gewesen sind. Diese Methode birgt allerdings auch Gefahren, vor allem wenn der Zugang zur Trackingsoftware in die Hände von Tatpersonen gelangt. Der Einsatz einer solchen Technologie sollte daher gut überlegt sein.

    Eine elektronische Klingelanlage ermöglicht die Überwachung des Eingangsbereichs einer Wohnung. Diese Überwachung darf aufgezeichnet werden, sofern die Nutzer:innen alle gesetzlichen Vorgaben beachten. Sie sollten zum Beispiel mit einem Schild Auskunft darüber geben, dass der Eingangsbereich videoüberwacht wird und die Aufnahmen für einen bestimmten Zeitraum gesichert werden. Wenn Betroffene die Vermutung haben, verfolgt oder beobachtet zu werden, kann zudem geprüft werden, ob Situationen durch öffentliche Videokameras aufgezeichnet wurden. Diese gibt es häufig an öffentlichen Plätzen, Tankstellen, Banken oder Geschäften. Liegt entsprechendes Videomaterial vor, müssen die Betreiber:innen allerdings ausdrücklich darum gebeten werden, die Aufnahmen im relevanten Zeitraum zu archivieren und nicht zu löschen.

Aus unterschiedlichen Gründen kann es passieren, dass Betroffene in eine Notlage kommen: Sie werden zum Beispiel durch eine Tatperson verfolgt oder verletzt. Sie sind durch einen Trigger desorientiert. Oder sie haben einen Unfall, ohne den Einfluss von Tatpersonen. Für diese Situationen kann es hilfreich sein, ein Schreiben mitzuführen. Dieses Dokument kann beispielsweise Angaben zu folgenden Themen beinhalten:

    • Eigene Traumatisierung
    • Auskunftspersonen mit Schweigepflichtentbindung
    • Verständigungen über gewünschte Schritte im Falle einer Notlage
    • Benennung von Triggern und typische Reaktionen auf Trigger
    • Stabilisierungsmöglichkeiten
    • Falls vorhanden, die sachbearbeitende Polizeidienststelle
    • Hinweise zur Beweissicherung, wie zum Beispiel Einverständnis zur Verletzungsdokumentation

Namensänderung

Eine weitere Schutzmöglichkeit für Betroffene ist die Namensänderung Genaue Informationen hierzu gibt es auf den Seiten des Bundesministeriums des Innern. Grundsätzlich kann es für die Betroffenen hilfreich sein, sich vor der Antragstellung von Beratungsstellen oder Anwält:innen beraten zu lassen, die sich mit dem Thema organisierte sexualisierte und rituelle Gewalt auskennen.

Für eine Namensänderung muss ein wichtiger Grund vorliegen. Zudem muss die Person, die ihren Namen ändern will, schuldenfrei sein, und es darf kein laufendes Ermittlungsverfahren gegen sie vorliegen. Hierzu stellt die zuständige Behörde eine Anfrage bei der Polizei. Sind alle Voraussetzungen erfüllt, kann ein Antrag auf Namensänderung schriftlich oder zur Niederschrift bei der zuständigen Verwaltungsbehörde gestellt werden. Hält sich die antragstellende Person im Ausland auf, so kann sie den Antrag bei der zuständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland stellen. Antragsstellende müssen die Gründe für den Antrag auf Namensänderung darlegen. Daraufhin wägt die Behörde alle Umstände des Einzelfalls ab und kommt zu einer Entscheidung. Im Falle einer positiven Entscheidung teilt die zuständige Behörde die Namensänderung weiteren Institutionen mit, beispielsweise dem Standesamt des Geburtsorts, in dem Änderungen wie die des Namens, des Geschlechts oder eine Heirat vermerkt werden. Wenn Tatpersonen, vor denen man sich schützen muss, aus der eigenen Familie kommen, sollten Betroffene bei dem Standesamt des Geburtsortes zusätzlich einen Sperrvermerk beantragen, ebenso wie die zuvor beschriebene Auskunftssperre im Melderegister. Die Wahl des neuen Namens ist mit Bedacht zu treffen. Die erhoffte Sicherheit kann beispielsweise in Gefahr geraten, wenn der neu gewählte Name so merkwürdig ist, dass er Personen stutzig macht und deshalb im Gedächtnis einer hörenden oder lesenden Person zurückbleibt. Es gilt: Je geläufiger, desto sicherer ist der neue Name. Behörden, bei denen Anträge auf Namensänderung gestellt werden, gehen mit den Kriterien für den neuen Namen unterschiedlich um. Der neue Name sollte keinen Grund für weitere Namensänderungen bieten. Teilweise muss die Wahl des Namens ebenfalls ausführlich begründet werden. Bisher gibt es kein deutschlandweit einheitliches Verfahren.

Auf folgenden Internetseiten kann man sich zum Thema Namensänderung weiter informieren: