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Menschenhandel, kommerzielle sexuelle Ausbeutung und die Rolle digitaler Medien

Menschenhandel ist ein Bereich der organisierten Kriminalität, bei dem Tatpersonen Menschen in Zwangsverhältnisse vermitteln und davon finanziell profitieren. Tatpersonen sind mitunter in kriminellen Banden organisiert, aber auch Bekannte oder Familienangehörige können Menschenhandel begehen, ohne dem Bereich der organisierten Kriminalität anzugehören. Im Kontext von sexuellem Kindesmissbrauch in organisierten Gewaltstrukturen findet Menschenhandel im Zusammenhang mit kommerzieller sexueller Ausbeutung statt.

Menschenhandel

Die international gültige Definition von „Menschenhandel“ stammt von den Vereinten Nationen. Im Jahr 2000 wurde das „Zusatzprotokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels“ verabschiedet – das sogenannte Palermo-Protokoll (1). Nach diesem Protokoll umfasst der Tatbestand Menschenhandel:

  • die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen
  • durch den Einsatz von Zwangs- oder Täuschungsmitteln (z.B. Entführung, Machtmissbrauch oder Ausnutzung von Hilflosigkeit)
  • zum Zweck der Ausbeutung (z.B. sexuelle Ausbeutung im Rahmen von Zwangsprostitution oder der Herstellung von sogenannter Kinderpornografie).

Um Menschen auszubeuten, schränken Tatpersonen durch Gewalt, Zwang und Täuschung sowohl die Selbstbestimmung als auch die Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit der Betroffenen ein (2). Menschenhandel findet innerhalb von Staatsgrenzen statt, aber auch darüber hinaus.

Kommerzielle sexuelle Ausbeutung

Kommerzielle sexuelle Ausbeutung bedeutet, dass die Tatpersonen mit dem Menschenhandel einen finanziellen Gewinn erwirtschaften. Dieser ist das übergeordnete geschäftliche Ziel der Ausbeutung (3). Nach einer Schätzung des Bundeskriminalamtes (BKA) im Jahr 2019 handelt es sich bei 19,4% des Menschenhandels in Deutschland um kommerzielle sexuelle Ausbeutung (4). Es gibt verschiedene Formen der kommerziellen sexuellen Ausbeutung. Hellfeldzahlen legen nahe, dass überproportional häufig Mädchen und Frauen davon betroffen sind, weshalb im Kontext von Zwangsprostitution auch von „Frauenhandel“ gesprochen wird (2). Eine in Deutschland verbreitete Form ist die sogenannte Loverboy-Methode. Dabei täuschen Männer Liebesbeziehungen vor, um Mädchen und Frauen mit psychischem Druck der Prostitution zuzuführen. Sie gewinnen das Vertrauen der Betroffenen, erschaffen eine emotionale Abhängigkeit und isolieren sie weitgehend von ihrem sozialen Umfeld.

Kommerzielle sexuelle Ausbeutung stellt besonders für Säuglinge, Kleinkinder und ältere Kinder als schwächste Mitglieder der Gesellschaft eine Gefahr dar. Dabei geht es um Menschenhandel mit Kindern, Kinder, die zu Prostitutionszwecken ausgebeutet werden, die Herstellung von Missbrauchsabbildungen von Kindern (strafrechtlich sogenannte Kinderpornografie) und sexuelle Ausbeutung von Kindern auf Reisen und im Tourismus (5). Als weltweiter finanzieller Umsatz mit Missbrauchsabbildungen von Kindern werden Millionenbeträge angenommen. Konkrete Schätzungen zum Ausmaß des Menschenhandels und der sexuellen Ausbeutung von Minderjährigen in Deutschland sind nicht möglich. Expert:innen gehen von einem großen Dunkelfeld aus – das heißt von vielen nicht angezeigten beziehungsweise nicht bekannten Fällen. Ein Fall aus einer Aktenanalyse im Rahmen eines Forschungsberichtes des Kriminalistischen Instituts des Bundeskriminalamtes zur Ausbeutung Minderjähriger in Deutschland, Bulgarien und Rumänien verdeutlicht die schwierige Ermittlungs- und Unterstützungssituation (6):

Fallbeispiel

Ein bulgarisches Mädchen, im Alter von drei Jahren von einem deutschen Paar adoptiert, wird ab dem vierten Lebensjahr vom Vater zur sexuellen Ausbeutung angeboten. Der Vater gehört einer Tatpersonengruppe im Kontext organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt an, innerhalb der das betroffene Kind unter Anwendung psychischer und physischer Gewalt zu sexuellen Handlungen gezwungen wird. Daneben sind drei bis vier weitere Jungen und Mädchen innerhalb des Zirkels von sexueller Ausbeutung betroffen. Das Opfer vertraut sich mit 15 Jahren schließlich einer Ärztin an, welche den Kontakt zu einer Beratungsstelle herstellt. Eine Herauslösung aus der Tatpersonengruppe und eine Beendigung der sexuellen Ausbeutung konnte zum Befragungszeitpunkt noch nicht erreicht werden. Das Opfer steht in einem erheblichen Abhängigkeitsverhältnis zu den Tatpersonen; eine Loslösung ist kaum möglich. An einer Anzeige bei der Polizei hindern das Mädchen, den eigenen Angaben nach, die Angst vor den Tatpersonen sowie die Befürchtung, die Polizei könnte den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen in Zweifel ziehen.

Die Rolle digitaler Medien

Kommerzielle sexuelle Ausbeutung wird in sehr vielen Fällen über das Internet organisiert und findet jederzeit und überall statt. Die zunehmende Digitalisierung hat den Zugang zu potenziellen Gefahrenorten verändert und die Handlungsspielräume von Tatpersonen im Kontext sexueller Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen erweitert. Beispielsweise können Tatpersonen gezielt den Kontakt zu Mädchen und Jungen über das Internet suchen, um sie zu beeinflussen und sexualisierte Gewalt anzubahnen. Dieses Phänomen nennt sich „Cyber-Grooming“. Tatpersonen können dabei als Einzelpersonen handeln oder in organisierten Gewaltstrukturen vernetzt sein, die ihre potenziellen „Opfer“ im Internet suchen, um zum Beispiel Missbrauchsabbildungen zu erstellen und zu verbreiten. Durch Cyber-Grooming gewinnen sie das Vertrauen der Kinder und Jugendlichen, manipulieren ihre Wahrnehmung und bringen sie durch Erpressung in Abhängigkeitspositionen (7). Ziel ist, die betroffenen Kinder und Jugendlichen digital oder bei persönlichen Treffen sexuell zu missbrauchen. Cyber-Grooming findet häufig in sozialen Netzwerken oder in Chat-Funktionen von Online-Spielen statt (7). Besonders häufig betroffen sind Kinder und Jugendliche mit einem geringen Selbstwertgefühl oder mit emotionalen Problemen. Diese lassen sich oft leichter auf eine Kommunikation mit fremden Personen über das Internet ein.

Im Jahr 2019 meldeten Technologieunternehmen das digitale Aufkommen von über 45 Millionen Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern (8). Die Internet Watch Foundation berichtete 2020 in ihrem Report von einer enormen Zunahme sogenannter selbstgenerierter Missbrauchsdarstellungen. Das bedeutet, dass Kinder und Jugendliche selbst oder unter digitaler Anleitung der Tatpersonen in Livestreams, d.h. in Echtzeitübertragung, das Material erstellten (9). Diese Ergebnisse verdeutlichen die Notwendigkeit, die digitale Komponente nicht nur bei der Vernetzung von Tatpersonen, sondern auch bei der Verbreitung von Darstellungen sexualisierter Gewalt mitzudenken. Dies ist besonders wichtig für psychosoziale Fachpersonen, die betroffene Personen unterstützen. Zudem kann das Mitdenken digitaler Medien im Kontext von sexualisierter Gewalt dazu führen, Missbrauchsfälle zu erkennen und Tatpersonen früher zu identifizieren.

Prävention und Schutz

Es ist schwer, Betroffene von Menschenhandel zu erkennen und ihnen zu helfen. Für betroffene Kinder heißt das: Die Ausbeutung geht weiter, wenn niemand die Gefährdung richtig einschätzt und sie schützt. In Deutschland haben Kinder, die von Menschenhandel betroffen sind, das Recht auf Unterstützung, Betreuung und Schutz – auch im Kontext von Strafermittlung und Strafverfahren. Damit das gelingt, müssen alle verantwortlichen Personen und Institutionen vertrauensvoll und gut koordiniert zusammenarbeiten und sich dabei an den Bedürfnissen des Kindes orientieren. Das gilt gleichermaßen für Kindertagesstätten, Schulen, Fachberatungsstellen, medizinische und therapeutische Fachkräfte, Jugendämter, Polizei und Justiz. Nichtregierungsorganisationen fordern, dass betroffene Erwachsene durch Information, psychosoziale Unterstützung und eine Stärkung ihrer Rechtsposition in die Lage versetzt werden, sich besser aus der Zwangssituation lösen zu können. Mit dem Bundeskooperationskonzept „Schutz und Hilfen bei Handel mit und Ausbeutung von Kindern“ (10) soll sichergestellt werden, dass bei betroffenen Kindern das Kindeswohl im Mittelpunkt des behördlichen Handelns steht. Das Konzept stärkt die wichtige Rolle der Mitarbeitenden von Fachberatungsstellen und des staatlichen Hilfesystems. Es verdeutlicht auch die Möglichkeit, anonyme Hinweise an die Strafverfolgungsbehörden weiterzugeben, was bisher noch selten erfolgt und zum Schutz der betroffenen Personen auch nur mit deren Einverständnis erfolgen sollte.

Um Kinder und Jugendliche vor Cyber-Grooming zu schützen, ist es notwendig, ihnen basale Regeln zu Gefahren und schützenden Verhaltensweisen im Internet beizubringen. Hierzu gehört insbesondere eine Sensibilisierung, welche Daten oder Abbildungen zur Gefahr werden können und wie dies vermieden werden kann. Wichtig ist zudem eine offene Kommunikation zwischen Bezugspersonen und Kindern. Informationsmaterialien zum sicheren Umgang mit digitalen Medien in Bezug auf Kinderschutz stellen beispielsweise die Vereine Innocence in Danger  und klicksafe zur Verfügung. Hilfe und Unterstützung beim Thema Cybergrooming gibt es – sowohl telefonisch als auch online beim Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch.


Referenzen

  1. Vereinte Nationen (2000): United Nations Convention against Transnational Organized Crime and the Protocols Thereto. https://www.unodc.org/unodc/en/organized-crime/intro/UNTOC.html (Abruf am 18.05.2021).
  2. Follmar-Otto, P. & Rabe, H. (2009): Menschenhandel in Deutschland. Die Menschenrechte der Betroffenen stärken. Deutsches Institut für Menschenrechte. Berlin. https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Studie/studie_menschenhandel_in_deutschland.pdf(Abruf am 18.05.2021).
  3. Miller-Perrin, C. & Wurtele, S. K. (2017): Sex trafficking and the commercial sexual exploitation of children. Women & Therapy, 40(1-2), S. 123–151. doi: 10.1080/02703149.2016.1210963.
  4. Bundeskriminalamt (BKA) (2019): Bundeslagebild Menschenhandel und Ausbeutung 2019. https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/Lagebilder/Menschenhandel/… .html (Abruf am 18.05.2021).
  5. Vereinte Nationen (2000): Optional Protocol on the Sale of Children (OPSC). Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornografie vom 25 Mai 2000. https://www.ohchr.org/EN/ProfessionalInterest/Pages/OPSCCRC.aspx(Abruf am 18.05.2021).
  6. Gies, N., Ullrich, E. & Roshan, H. / BKA Referat IZ 34 / SOLWODI e.V. (2019): Ausbeutung Minderjähriger in Deutschland sowie Bulgarien und Rumänien. Forschungsbericht. Bundeskriminalamt Wiesbaden, S. 139. https://daten2.verwaltungsportal.de/dateien/seitengenerator/… .pdf (Abruf am 18.05.2021).
  7. Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (2022): Cybergrooming. https://beauftragte-missbrauch.de/praevention/sexuelle-gewalt-mittels-digitaler-medien/cybergrooming/ (Abruf am 29.05.2022).
  8. Dance, G. & Keller, M. (2019): An Explosion in Online Child Sex Abuse: What You need to Know. New York Times. https://www.nytimes.com/2019/09/29/us/takeaways-child-sex-abuse.html (Abruf am 20.07.2021).
  9. Internet Watch Foundation (2020): Trend: „Self-generated“ content. https://annualreport2020.iwf.org.uk/trends/international/selfgenerated (Abruf am 18.11.2021).
  10. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2018): Miteinander statt nebeneinander! Bundeskooperationskonzept „Schutz und Hilfen bei Handel mit und Ausbeutung von Kindern“. Empfehlungen für die Zusammenarbeit von Jugendamt, Polizei, Fachberatungsstellen und weiteren Akteuren zur Identifizierung und zum Schutz von Kindern als Opfer von Menschenhandel. https://www.bmfsfj.de/resource/blob/129878/558a1d7b8973aa96ae9d43f5598abaf1/bundeskooperationskonzept-gegen-menschenhandel-data.pdf (Abruf am 18.05.2021).