Skip to main content
Hilfe-Telefon berta 0800 30 50 750
Kostenlose Beratung bei organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt

Ergebnisse

Von 21 Teilnehmenden, die in dieser Studie organisierte Gewalt beschrieben (Salter, 2012), berichteten 16 Teilnehmende (13 Frauen und drei Männer, einschließlich einem Transgender-Mann) Erfahrungen mit ritueller Gewalt, bei denen sie von Gruppen von Erwachsenen auf zeremonielle oder rituelle Weise missbraucht wurden. Wie auch in anderen Studien (Cook, 1991; Sarson & MacDonald, 2008; Scott, 2001) war die rituelle Gewalt in dieser Studie eine Strategie der Tatpersonengruppen, welche in der Herstellung von sogenannten Missbrauchsabbildungen, in Kinderprostitution und in anderen Formen organisierter Gewalt involviert waren.

Die Rolle der Familie und des Umfelds

In den Beschreibungen der Teilnehmenden über ihre Kindheit sammelte sich eine Vielzahl von Gewalterfahrungen. Die Mehrheit der Befragten berichtete, dass rituelle Gewalt aktiv durch ein oder beide Elternteile ermöglicht oder gefördert wurde. Einige Teilnehmenden berichteten auch über sexuelle Gewalt in der Schule. Unter jenen waren auch einige, die von Tatpersonen außerhalb der Familie, z.B. Lehrer:innen oder Priester:innen, rituell missbraucht wurden. In der Kindheit der Teilnehmenden war die sexualisierte Gewalt so allgegenwärtig, dass sie ihn als einen alltäglichen Aspekt ihres kindlichen Lebens bezeichneten:

„Es war etwas, womit man sich abfinden musste, wie überkochten Kohl zu essen, (...).“

Der ideologische Hintergrund

Rituelle Gewalt unterschied sich von den Schilderungen anderer Gewalterfahrungen der Teilnehmenden durch ein höheres Maß an Angst. Die religiösen Theorien und Praktiken der rituellen Gewalt scheinen oft wie ein hollywoodartiger Abklatsch von Satanismus, der von Scott (2001) als „billiger Okkultismus“ beschrieben wird (S. 9). Kent (1993a, 1993b) beschrieb den Gebrauch ritueller Praktiken innerhalb von organisierter Gewalt als an die gängigen Schriften des Satanismus angelehnte Form. Solche Tatpersonengruppen schöpften demnach aus einer Reihe bereits bestehender ritueller Traditionen. Die Studienteilnehmer:innen berichteten, dass ihre Gewalterfahrungen religiöse oder übersinnliche Ideologien enthielt, insbesondere aus dem Christentum, dem Satanismus und aus der Freimaurerei. Jene Teilnehmenden berichteten, als Kinder in „zwei Welten“ gelebt zu haben, mit angeblich wohlwollenden religiösen Institutionen und Ideologien, die dann wiederum in sadistischen und bizarren Gewalthandlungen verstrickt wurden. Die spezifischen Umstände der rituellen Gewalt waren individuell unterschiedlich. Doch bei der Beschreibung der Ideologien der Tatpersonengruppen gaben die Teilnehmenden ähnliche Dimensionen an: böse/gut, männlich/weiblich, mächtig/machtlos, Finsternis/Licht, Satanismus/Christentum:

„Bei den Folterungen gab es immer kurze einfache Dinge wie ‚Satan ist gut‘, ‚Gott ist böse‘, ‚Jesus ist böse‘, ‚Das Böse ist gut‘, ‚Das Gute ist böse‘ (...).“

„Man wird also in die Lage versetzt, zwischen Gut und Böse, Satan, Gott, Licht, Finsternis wählen zu müssen (...).“

Während die spezifischen Einzelheiten der Gruppenideologien unterschiedlich beschrieben wurden, hatten sie stets eine stark von jenen beschriebenen Dualismen geprägte Weltanschauung gemeinsam. Rituelle Gewalt kam hier als notwendige Praxis in einem kosmischen Kampf zwischen Gut und Böse vor.

Die Rolle männlicher Personen

Manchmal wurde rituelle Gewalt als überzogen männlicher, metaphysischer [Anm.: übersinnlich, geistig/geistlich, unergründbar] Akt der Herrschaft charakterisiert:

„Wir sind Gott, die Herrscher des Universums, also sind wir berechtigt, zu tun, was wir wollen. Wir müssen unsere kleinlichen moralischen menschlichen Standards überwinden, die uns die Welt auferlegt hat.“

In diesen Fällen schienen Männer durch rituelle sexuelle Gewalt das Gefühl von Status und Macht erreichen zu können.

Die Rolle der Mädchen und Frauen

Auch wurde eine besondere Rolle von Frauen und Mädchen im rituellen Kontext beschrieben. In einigen Fällen wurde berichtet, dass Tatpersonengruppen eine matriarchalische (Matriarchalisch; das Matriarchat: lat. „von Frauen bestimmt“. Soziologischer Begriff für eine von Frauen geprägte und bestimmte Gesellschaftsordnung, in der die Frau bzw. die Mutter eine zentrale Rolle in Gesellschaft und Religion einnimmt. Gegenwort: Patriarchat) Machtstruktur vorgaben, in der Frauen vorrangige Machtpositionen innehatten. Jedoch wurden die Frauen dabei zur Anwendung von Gewalt manipuliert, was die Tatpersonen wiederum als Wunsch der Frauen interpretierten, missbraucht zu werden oder selbst zu missbrauchen. Eine Teilnehmerin beschrieb im Zusammenhang mit dieser Form der „Rollenumkehr“, wie Männer ihre Ehepartnerinnen gewaltsam zu organisierter Gewalt zwangen. Die Komplizenschaft der Frauen bei der sexuellen Ausbeutung ihrer Kinder wurde dann als Ausdruck von Macht und Herrschaft der Frauen mythologisiert [Anm.: etwas auf mystische Art und Weise darstellen].

„(...) Die Mädchen sind diejenigen, die sie wirklich kontrollieren wollen. Weil sie wissen, dass sie die nächste Generation haben, wenn sie die Frau kontrollieren. Und diese Frau wird einfach den Rücken kehren und sich nicht um ihre eigenen Kinder sorgen. Daher ist es von größter Bedeutung, dass sie sie von klein auf wirklich kontrollieren.“

Schuldumkehr und Rationalisierung der Gewalt

Einige Teilnehmende erläuterten, wie rituelle Gewalt als eine notwendige Praxis dargestellt wurde, die zu ihrem angeblichen Vorteil durchgeführt würde. Im Rahmen dieser Überzeugungen übertrugen die Tatpersonen die Verantwortung für die Gewalt auf das Kind selbst. Sie behaupteten dabei, dass das Kind und seine schlechten Eigenschaften selbst schuld daran seien. Dabei stellten sie die sexuelle Gewalt als die einzig vernünftige Antwort auf die moralische Minderwertigkeit der Betroffenen dar und behaupteten, dass das Kind seine Verfehlungen überwinden und Sinn und Zweck darin finden könne.

„Es war, als seien alle gut, bis auf mich. (...) Es war wie in einem Comicbuch. Ich war das Böse und der Rest der Welt versucht, mich zu bekämpfen“.

Aufgrund solcher Gewaltrechtfertigungen fühlten sich die Teilnehmenden verwirrt, unsicher und orientierungslos. Sie sprachen davon, zu versuchen, mit den Tatpersonen zusammenzuarbeiten, „gut zu sein“ oder die Tatpersonen stolz machen zu wollen, obwohl sie sich nicht einmal sicher waren, zu welchen Bedingungen dies erreicht werden könnte.

Praktiken und Auswirkungen der rituellen Gewalt
1) Erniedrigung, Folter, Entmenschlichung

Während die Begründungen für die rituelle Gewaltanwendung variierten, waren die berichteten Auswirkungen dieselben. Die rituelle Gewalt diente dazu, Kindern und Frauen vorzumachen, das Leid verdient zu haben, das ihnen angetan wurde. Dies wurde nicht explizit ausgesprochen, sondern durch Schmerz und Folter vermittelt. In den Berichten der Teilnehmenden bezogen die Tatpersonen sexuelle Übergriffe und andere Missbrauchspraktiken in Erniedrigungszeremonien mit ein. Neben Vergewaltigung gehörte zu diesen Zeremonien auch die Verstümmelung von Tieren und die erzwungene Einnahme von Tierkot, Blut und Fleisch. Die Betroffenen verinnerlichten so ein tiefes Gefühl von Scham und Entmenschlichung. Die erzwungene Einnahme von Kot, Urin und Blut gehört auch in anderen Berichten zu den am häufigsten gemeldeten Formen der Folter (Jones, 1991; Snow & Sorenson, 1990; Waterman et al., 1993). In traumatisierenden Torturen, in denen sie gezwungen wurden, mit Tod, Blut und menschlichen Ausscheidungen in Kontakt zu kommen, veränderte sich laut den Teilnehmenden ihre Selbstwahrnehmung. Diese glich sich letztlich der Ansicht der Tatpersonen an, nach welcher die Betroffenen z.B. minderwertig seien. Unabhängig vom spezifischen ideologischen Inhalt diente rituelle Gewalt demnach dazu, Kinder und Frauen als unreine Personen darzustellen, die Liebe und Fürsorge nicht verdient hätten. Das daraus resultierende Gefühl der fehlenden sozialen Zugehörigkeit band Betroffene zusätzlich an die Tatpersonengruppe.

2) Illusion von Status und Privileg

Es wird berichtet, dass Tatpersonen die Kinder dazu bringen, ihren vermeintlich untergeordneten Platz zu verinnerlichen und zu akzeptieren. Den Kindern wird gesagt, dass es ein Privileg sei, für den Missbrauch ausgewählt zu werden:

„Es ist eine Ehre, Dinge für sie zu tun, es ist eine Ehre, für sie zu sterben, es ist die größte Ehre, für sie ausgewählt zu werden. Es ist mein Schicksal.“

„Ich habe das Gefühl, dass die Tatpersonen diesen Narzissmus fast fördern – den Glauben, dass der Missbrauch dich in irgendeiner Weise wichtig macht. Dass du die auserwählte Person bist“.

Andere Teilnehmende erinnerten sich daran, wie diese Illusionen von Status innerhalb des Gruppenmythos durch die Verleihung von Titeln ausgedrückt wurden:

„Sie haben mich dazu gebracht, eine Art ,Hohepriesterin‘ zu sein und all diese Sachen. Sie haben mich gefoltert und konditioniert, und dann werde ich benutzt. (...) Sie geben dir eine Machtposition, nachdem sie dich dazu konditioniert haben, das zu sein, was sie von dir wollen (...).“

3) Bindung und Identität

Durch die anhaltende Entmenschlichung mit dem Versprechen der Erlösung war rituelle Gewalt eine wirksame Strategie, um einerseits die sexuelle Ausbeutung der Betroffenen zu rechtfertigen und andererseits ihre aktive Teilnahme an Gewalthandlungen zu fördern. In dieser Studie beschrieben die Teilnehmenden, wie sie sich mit den Tatpersonen verbündeten und sie unterstützten, da ihre Selbstidentität in wichtiger Weise von organisierter Gewalt abhing. So hielt bei sieben Teilnehmenden die Beteiligung an ritueller Gewalt bis ins Erwachsenenalter an, wobei drei Teilnehmende berichteten, auch ihre eigenen Kinder zur Verfügung gestellt zu haben. Bei Flucht und Kontaktabbruch zur Tatpersonengruppe folgten Drohungen, wie eine Teilnehmerin berichtete:

„Als David geboren wurde, bekam ich seltsame Anrufe. Leute, die mir drohten, was sie mit David machen würden (...). Manchmal gab es Anweisungen, wohin ich ihn bringen sollte. Und es gab Zeiten, da passierte das auch (...).“

In den Berichten der Teilnehmenden zeigen sich Behauptungen und Ansichten der Tatpersonen, sie hätten das Recht, Kinder und Frauen zu missbrauchen und dass diese Gewalt wollten und verdienten. Auch wird deutlich, wie die durch rituelle Gewalt verinnerlichte untergeordnete Selbstsicht weiter fortbesteht und so die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Sicherheit der Betroffenen langandauernd beeinträchtigt.