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Trauma: Eine neue Erzählung

Trotz der Beliebtheit des „false memories“-Narrativs ist das Bewusstsein um Trauma als Konzept in den letzten 30 Jahren stetig gewachsen. Es beschreibt ein Spektrum von Reaktionen auf Herabsetzung und Entmenschlichung, das alle Menschen teilen (Good & Hinton, 2016; Ross, 2011). Das Trauma-Konzept bietet einen Zugang zum Beschreiben und Verstehen der Allgegenwärtigkeit von Verlust und Betrug und deren Auswirkungen auf das Wohlbefinden. Aus diesem Grund wird das Konzept persönlich, aber auch professionell vielfach anerkannt. Traumata sind für eine breite Öffentlichkeit interessant, jedoch auch politisch im andauernden Diskurs um die Auswirkungen von Kolonisierung und Völkermorden wichtig. Generell scheinen Traumata so präsent zu sein wie nie zuvor.

Das öffentliche Verständnis von Traumata hat sich so weit entwickelt, dass es eine überzeugende Gegenerzählung zu „false memories“ bieten kann. Damit ein politisches Narrativ auch wirksam sein kann, muss es nach Monbiot (2017) „einfach und verständlich“ und „mit tiefen Bedürfnissen und Wünschen im Einklang“ stehen (S. 13). Außerdem müsse es die Herausforderungen, mit denen wir uns konfrontiert sehen, verstehen und erklären können, und bodenständige, realistische Lösungen anbieten. All diese Anforderungen erfüllt das aktuelle Forschungsgebiet zu Traumata und deren Behandlung. Das Konzept der Traumata erinnert uns an unsere grundlegende Abhängigkeit voneinander als Menschen, an die Offenheit gegenüber anderen und an die leichten oder schweren Verletzungen, die wir durch fehlende Anerkennung oder Gewalthandlungen erfahren: durch Fehlanpassung, durch Gewalt durch Erziehungsberechtigten an Kindern oder durch die Dominanzherrschaft von Frauenfeindlichkeit, Rassismus, Klassismus oder anderen Formen struktureller Benachteiligung.

Der Diskurs um und die Behandlung und Erforschung von Traumata haben die Wichtigkeit tiefer emotionaler Bindungen für die menschliche Entwicklung und für die Wiederherstellung des Miteinanders und des Wohlergehens bestärkt. Dieser Fokus auf das Zwischenmenschliche ist vielleicht der zentrale Punkt, der in vorherigen Erzählungen über sexuellen Kindesmissbrauch fehlte, und der stets ein unlösbares Problem darstellte. Studien zur Entstehung von Traumata haben verschiedenste soziale Probleme als traumatische Ursprünge identifiziert – von Kriminalität bis Substanzmissbrauch. Allerdings gibt es eine Reihe vielversprechender Mittel zur Vorbeugung, Erkennung und Behandlung sexuellen Kindesmissbrauchs und anderer sozialer Probleme. Dabei geht es, wie auch im Diskurs über Traumata, um die Stärkung der Gegenseitigkeit in Beziehungen, z.B. durch Aufklärungsarbeit bei Eltern, Unterstützung von Familien, sichere Einrichtungen für Kinder und die Förderung sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit. All diese Maßnahmen reduzieren nachweislich das Aufkommen von sexuellem Kindesmissbrauch sowie anderer Formen der Gewalt (Quadra et al., 2015). In diesem Sinne beschreibt das Konzept des Traumas nicht nur ein Problem, sondern deutet zunehmend auf vielfach benötigte Lösungen hin.