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Kostenlose Beratung bei organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt

Ergebnisse

Online-Befragung

68 Personen nahmen an der Online-Befragung teil; 71% davon waren weiblich. 85% gaben an, Betroffene von ORG zu sein; 15% waren Unterstützer:innen von Betroffenen. Sieben Personen gaben außerdem an, dass sie neben ORG auch andere Formen von Gewalt erlebt hatten. Als die Teilnehmenden nach ihren Bedürfnissen als ORG-Betroffene gefragt wurden, wurden folgende Themen am häufigsten genannt: Unterstützung (42 Teilnehmende), mehr Bewusstsein (34 Teilnehmende) und Glaubwürdigkeit zu erfahren (24 Teilnehmende). Eine weitere offene Frage bezog sich auf die Erfahrungen bei der Suche nach Hilfe. Hierbei waren Unglaube (60 Teilnehmende), mangelndes Bewusstsein (60 Teilnehmende) und Vorurteile (10 Teilnehmende) die Hauptthemen. Die Teilnehmenden wurden auch gebeten, die Qualität der Hilfeleistung zu bewerten. Die Polizei, pädagogische Einrichtungen und Anlaufstellen für Vergewaltigung und häusliche Gewalt wurden als schlecht eingestuft (62%), während die Gesundheits- und Sozialdienste als besonders schlecht eingestuft wurden (87%).

Interviews

Mit 22 weiblichen Teilnehmerinnen im Alter von 25 bis 50 Jahren wurden Interviews entweder persönlich (6 Teilnehmerinnen), per E-Mail (12 Teilnehmerinnen) oder über ein „Schwarzes Brett“ (4 Teilnehmerinnen) durchgeführt. Bei jeweils drei Teilnehmerinnen fanden persönliche Interviews in den Büros der Hilfe-Hotline oder zu Hause statt. Fünf Hauptthemen wurden aus den Antworten der Interviews ermittelt: 1) „Partizipation is powerful“, 2) Definition von ORG, 3) Unglaube, 4) mangelndes Bewusstsein und 5) Vorurteile. Im Folgenden werden diese Kategorien genauer beschrieben.

1) „Partizipation is powerful“

Sobald die Forscherinnen miteinbezogen wurden, stellten sie fest, dass sich ihre Beteiligung sowohl auf ihr eigenes Leben als auch auf den Forschungsprozess auswirkte: Das Lesen der Berichte anderer Betroffenen mit ähnlichen Erfahrungen reduzierte die eigene Isolation und brachte einige Forscherinnen dazu, Maßnahmen für sich und andere zu ergreifen. Alle Forscherinnen berichteten, dass sie sich aufgrund ihrer Beteiligung an der Forschung gestärkt und selbstbewusster fühlten. Einige nahmen sogar bedeutsame persönliche Veränderungen vor, z.B. indem sie ein Studium aufnahmen oder bei der Polizei zur erlebten Gewalt aussagten.

2) Definition von ORG

Viele Teilnehmende beschrieben ORG als eine ritualisierte Form sexueller Gewalt, dabei jedoch als „extremer als andere Formen der sexualisierten Gewalt, da mehr Menschen beteiligt sind“. Acht Teilnehmende benannten vorhandene Glaubenssysteme und Religiosität in diesem Kontext. Die Teilnehmenden waren der Ansicht, dass die Gewalt zu komplex sei, um einfach definiert zu werden. Schließlich wurde keine Definition vereinbart, da die Befragten ihre eigenen Erfahrungen selbst definieren wollten:

„Ich möchte keine Etiketten mehr (...). Die Gewalt ist extrem, aber ich habe sie überlebt.“

Die meisten betrachteten die „false memories“-Gegenreaktion der 1980er- und 1990er-Jahre als verantwortlich für die Diskreditierung von ORG und viele zögerten, den Behörden offenzulegen, dass sie Betroffene seien. Einige verknüpften das mangelnde Bewusstsein für ORG und den allgemeinen Unglauben mit einem Mangel an verfügbaren Unterstützungsangeboten.

3) Unglaube

Angst vor Unglauben war ein zentrales Thema und kam vor allem in den Berichten von zwölf Teilnehmenden vermehrt vor. In den Interviews erörterten die Teilnehmenden die Gründe des Unglaubens sowie dessen Konsequenzen für die Betroffenen. Viele versuchten, die Gründe für den Mangel an Glauben zu verstehen:

„Wir sind mit Leugnung und Unglauben in einem Ausmaß konfrontiert, das kaum zu glauben ist. Sie können mit unseren Gewalterfahrungen überhaupt nicht umgehen, aber das müssen sie überhaupt nicht, sie müssen nur zuhören, aber sie tun es nicht.“

Andere wiederum waren wütend, besonders wenn sie über ihre Erfahrungen sprachen, als ihnen in der Kindheit nicht geglaubt wurde. Einige äußerten Bedenken hinsichtlich des Jugendschutzes. Probleme mit psychischen Erkrankungen spiegelten sich in den Erfahrungen der Teilnehmenden bei der Suche nach Hilfe wider:

„Als ich eine neue Therapie anfing und mich an die rituelle Gewalt erinnerte, glaubte mir meine Therapeutin nicht. (...) Es ist schon schwer genug, mit einigen dieser extremen Erinnerungen fertig zu werden, ohne den Unglauben.“

4) Fehlendes Bewusstsein

Alle Teilnehmenden berichteten über Erfahrungen mit mangelnden Hilfsangeboten, fehlendem Bewusstsein um ORG sowie Ablehnung durch Hilfedienste, nachdem die Art der erlebten Gewalt offengelegt wurde. Den Teilnehmenden zufolge ist „das Bewusstsein bei den meisten Hilfediensten gering (…).“ Bei geringem oder gar keinem Bewusstsein um ORG können die Betroffenen keine gute Hilfe erhalten. Durch geringe Hilfsangebote schweigen die Betroffenen und können ihre Erfahrungen nicht offenlegen oder teilen.

5) Vorurteile

Aufgrund des Stigmas und der Diskriminierung gaben die Teilnehmenden ungern bekannt, dass sie Betroffene von ORG sind. Einige führten es auf den Unglauben, andere auf das mangelnde Bewusstsein und auf Ängste zurück:

„Arbeiter:innen fürchten um ihre Arbeit, professionelle Unterstützende um ihren Ruf und ich um mein Leben.“

Unabhängig von der Ursache der Vorurteile stellt dies für die Betroffenen ein weiteres Hindernis bei der Suche nach Hilfe dar. Einige erlebten auch andere Vorurteile, z.B. wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Schließlich reflektierten einige Betroffene ihre zunehmende Nutzung des Internets:

„Da ich online anonym bleiben kann, fühle ich mich viel sicherer, wenn ich etwas über mich preisgebe und es mit anderen Menschen teile, die persönliche Erfahrungen mit den Dingen haben, von denen ich zu heilen versuche.“