Betroffene und helfende Personen als Beschuldigte im Strafverfahren
Viele Betroffene haben sehr große Angst, in einem Strafverfahren möglicherweise auch selbst beschuldigt zu werden. Dazu tragen mitunter wiederholte Einschüchterungen durch die Tatpersonen bei. Diese drohen beispielsweise damit, auf eine Strafanzeige mit Gegenanzeigen wegen Verleumdung zu reagieren.
Viele Betroffene von organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt berichten zudem, dass sie auch selbst Straftaten begangen haben oder von zukünftig geplanten Straftaten wissen. Damit kommen weitere strafrechtliche Fragen und Unsicherheiten auf.
Im deutschen Strafrecht gibt es keine Anzeigepflicht im Hinblick auf zurückliegende Straftaten. Das heißt: Niemand muss eine Straftat anzeigen, die in der Vergangenheit stattgefunden hat. Die Anzeigepflicht im Hinblick auf geplante Taten ist sehr eng begrenzt auf den Katalog des § 138 StGB (Nichtanzeige geplanter Straftaten). Dieser Katalog umfasst beispielsweise Mord und einige Kapitalverbrechen, jedoch keine Sexualstraftaten. Da es nach vielen Berichten von Betroffenen im Kontext von organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt auch zu Mord und Kapitalverbrechen kommt, ist der § 138 StGB dennoch relevant. Voraussetzung ist, dass die Gefahr der Begehung entsprechender Verbrechen im Vorfeld zeitlich und örtlich hinreichend konkretisierbar ist. Eine Verurteilung von Betroffenen oder helfenden Personen hiernach dürfte in der Praxis als eher unwahrscheinlich anzusehen sein.
Nicht selten berichten Betroffene, dass Tatpersonengruppen ihnen damit drohen, ihre eigene und in aller Regel erzwungene Beteiligung an schweren Straftaten öffentlich zu machen und/oder anzuzeigen. Laut diesen Berichten setzen Tatpersonen Betroffene dabei auch immer wieder mit Filmaufnahmen unter Druck, die die Betroffenen angeblich oder auch tatsächlich bei solchen Taten zeigen. So verstärken die Tatpersonengruppen Schuld- und Schamgefühle bei den Betroffenen und verhindern juristische Aufklärung. Zu vermuten ist aus Sicht der Praxis jedoch, dass Tatpersonengruppen vermeiden würden, Belege für Straftaten vorzulegen, die innerhalb der Gruppe stattgefunden haben – zu sehr lebten sie davon, dass die entsprechenden Verbrechen und die dahinterliegenden Strukturen im Verborgenen bleiben. Werden Betroffene oder professionell unterstützende Personen mit angedrohten oder tatsächlichen Strafanzeigen seitens der Tatpersonen konfrontiert, sollten sie sich juristischen Rat suchen. Es ist erfahrungsgemäß gut, wenn sie sich allen Drohungen zum Trotz nicht einschüchtern lassen und weiterhin für ihre Rechte einstehen.