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Erfolgsaussichten für Strafverfahren

Von entscheidender Bedeutung für die Erfolgsaussichten ist zunächst die Existenz äußerer Beweise, die über die eigene Zeug:innenaussage hinausgehen. Dies können Dokumente wie etwa Fotos/Aufzeichnungen von Verletzungen, Tatorten, Tatpersonen, Orten, Zeiten sowie Botschaften von Tatpersonen, aber auch ärztliche oder pädagogische Berichte sein. Auch Dokumente aus vorherigen Strafverfahren oder Ergebnisse früher durchgeführter Beweissicherungen wie zum Beispiel aus einer anonymen Spurensicherung gelten als äußere Beweise.

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    Daneben kommen auch externe Zeug:innen in Betracht. Das können sowohl Bekannte, Angehörige oder Freund:innen sein als auch psychosoziale, pädagogische oder medizinische Fachkräfte. Gerichte binden oft auch Sachverständige ein. Besonders im Hinblick auf Glaubhaftigkeitsgutachten ist es von großer Bedeutung, dass diese Expert:innen gute psychotraumatologische Kenntnisse haben.

    Ein möglichst sicheres Umfeld der Betroffenen ohne fortgesetzte äußere Bedrohung sowie eine stabilisierende Psychotherapie kann auch zum Erfolg eines Strafverfahrens beitragen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass die Therapie bis zum Abschluss des Strafverfahrens möglichst wenig aufdeckend arbeitet. Andernfalls wird von den Gerichten häufig die Gefahr einer Verfälschung von Erinnerungen gesehen. Dies wiederum kann dazu führen, dass sie die Qualität der Aussage infrage stellen. Psychotherapeut:innen sollten den Verlauf der Therapie ausführlich dokumentieren, um den Vorwurf von Suggestion abzuwenden.

Weitere rechtliche Aspekte nach…

Öffentliches Recht

Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts spielen für betroffene Personen mögliche sozialrechtliche Ansprüche gegen die öffentliche Hand beziehungsweise Sozialversicherungsträger eine Rolle. Zu nennen sind hier insbesondere Fragen im Bereich der Kranken-/Pflegeversicherung (SGB V bzw. XI), der Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX), ggf. der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII), der Sozialhilfe (SGB XII), der Opferentschädigung (OEG) beziehungsweise des ergänzenden Hilfesystems (Fonds Sexueller Missbrauch). Zudem sind für Betroffene einige verwaltungsrechtliche Themenfelder von Belang, die speziell mit deren Situation im Ausstieg zu tun haben. So kommen viele Aussteigende durch die Notwendigkeit einer Namensänderung zu ihrem besseren Schutz vor Nachstellungen durch Tatpersonen mit den entsprechenden Vorschriften beziehungsweise Behörden in Berührung. Dies sind in der Regel Standesämter und Behörden zur Durchsetzung von Auskunftssperren und sonstiger datenschutzrelevanter Vorschriften. In einigen Fällen ergeben sich durch psychische Traumafolgestörungen, insbesondere dissoziative Störungen, auch Konsequenzen bei der Aufrechterhaltung der Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen, welche mitunter verwaltungsrechtlicher Überprüfung bedürfen.

Allgemeines Zivilrecht

Auf allgemein zivilrechtlicher Ebene können betroffene Personen versuchen, bei Tatpersonen Leistungen wie Schadenersatz und Schmerzensgeld einzufordern. Diese sogenannten deliktischen Ansprüche aus §§ 823 BGB ff. müssen Betroffene selbst verfolgen, gegebenenfalls einklagen und in ihren Voraussetzungen darlegen beziehungsweise beweisen.

Anders als im Strafverfahren gilt im Zivilprozess nicht das Offizialprinzip. Beim Offizialprinzip im Strafrecht obliegt die Strafverfolgung grundsätzlich dem Staat bzw. den staatlichen Behörden, also der Staatsanwaltschaft und nicht der oder dem Verletzten (es gilt Staat vs. Angeklagte:r). Stattdessen steht im Zivilrecht das Betreiben der jeweiligen Parteien im Fokus (es gilt Kläger:in vs. Beklagte:r).

Schmerzensgeldansprüche können auch innerhalb des Strafprozesses gegen Tatpersonen geltend gemacht werden. Das ist eine Besonderheit und nennt sich Adhäsionsverfahren. Damit können erneute Beweisaufnahmen vermieden werden.

Ähnlich wie im Strafrecht ist gegenüber der früheren Rechtslage hinsichtlich der Verjährung von Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüchen aufgrund von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung im Jahr 2013 eine deutliche Veränderung erfolgt. Hiernach beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist 30 Jahre. Früher waren es 3 Jahre. Die Verjährungsfrist beginnt nach dem Ende der häuslichen Gemeinschaft mit der Tatperson, frühestens aber ab dem 21. Lebensjahr.

Weitere zivilrechtliche Fragen, die den Ausstieg aus organisierten sexualisierten und rituellen Gewaltstrukturen anbelangen, betreffen insbesondere die Abwehr unerwünschter Kontaktaufnahmen durch die Tatpersonen – insbesondere durch nahe Familienangehörige. Hier lässt sich mit anwaltlicher Unterstützung zunächst ein Kontaktverbot im Sinne eines Unterlassungsanspruches gemäß §§ 823, 1004 BGB bewirken. Für die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche bedarf es in der Regel keiner allzu speziellen juristischen Expertise. Allerdings ist es wichtig, das die beauftragten Anwält:innen den Betroffenen hinsichtlich der Verfolgung ihrer Rechte engagiert zur Seite stehen.

Familienrecht

Das Familienrecht ist ein Teilgebiet des Zivilrechts. Zivil- beziehungsweise familienrechtliche Fragestellungen werden im Zusammenhang mit organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt insbesondere da relevant, wo es um das Wohl eines oder mehrerer Kinder oder Jugendlicher geht. Zentral ist hier vor allem das Umgangs- beziehungsweise Sorgerecht in Bezug auf minderjährige Betroffene. Um Fragen des Umgangs- oder Sorgerechtes geht es zum Beispiel dann, wenn ein Elternteil den Verdacht auf Gewaltanwendung durch den anderen Elternteil, weitere Verwandte oder das sonstige Umfeld anbringt. Was das betrifft, unterscheiden sich Fälle im Kontext von organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt zunächst nicht besonders von Verdachtsfällen bei sexualisierter Gewalt allgemein. Allerdings kommt bei organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt häufig noch das besonders junge Alter der Kinder, die Einbindung der Tatpersonen in eine familiäre und sonstige kriminelle Struktur mit guter gesellschaftlicher Vernetzung und nicht zuletzt die besondere Perfidität und Brutalität beim Vorgehen der Tatpersonen verschärfend hinzu. Häufig sind es Mütter, die einen Verdacht äußern. Mehr noch als in anderen Bereichen sexualisierter Gewalt darf jedoch die Rolle weiblicher Täterinnen – und hier insbesondere von Müttern als primären Bindungspersonen – genauso wenig unterschätzt werden wie die Tatsache, dass auch Jungen Gewalt erfahren.

Wenn ein geteiltes Sorge-, Umgangs- und Aufenthaltsbestimmungsrecht beider Elternteile besteht, stellt sich sehr schnell die Frage nach familienrechtlichen Möglichkeiten, dieses einseitig einzuschränken. Verfahrensbeteiligte wie das Jugendamt, Verfahrensbeistände und Familiengerichte stehen bei dieser Entscheidung in der Regel vor einer schwierigen Situation. Vielen Eltern, die einen Verdacht auf Gewalt anbringen und das alleinige Umgangs- oder Sorgerecht beantragen, wird vorgeworfen, ihre Kinder zu manipulieren oder zu instrumentalisieren. Auch hier ist also eine frühzeitige Beweissicherung wichtig, zum Beispiel durch Aussagen und Berichte von externen, möglichst fachkundigen Stellen wie Ärzt:innen, pädagogischem Personal in der Kindertagesstätte oder sonstigen Dritten. Hilfreich ist zudem eine familienrechtlich versierte und engagierte juristische Vertretung, die gegebenenfalls mit den Anwält:innen des mitunter parallel laufenden Strafverfahrens eng zusammenarbeitet. Wenn irgend möglich, empfiehlt es sich zudem, mit den fachlichen Stellen, insbesondere dem Jugendamt, zu kooperieren und sich darüber hinaus frühzeitig um eine im Bereich der Psychotraumatologie erfahrene kinder- und jugendtherapeutische Unterstützung für das betroffene Kind zu bemühen. Weitere familienrechtliche Ansprüche, die im Bereich von organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt immer wieder zu Problemen führen, betreffen die Unterhaltsansprüche minderjähriger beziehungsweise noch in der Ausbildung befindlicher oder schwerbehinderter Betroffener gegenüber Tatpersonen in der Herkunftsfamilie.